Interview with Esther Ofarim - 14/10/2007 - taken from  aachener-zeitung.de
<-- back to the concert in Aachen

Esther Ofarim: «Ich bin sehr hungrig nach Leben»

Aachen. Singen ist für sie so essentiell wie Fliegen für einen Vogel, sagt Esther Ofarim gerne. Das Sprechen hingegen ist ihr eher lästig. Interviews gibt die in Hamburg lebende israelische Sängerin so gut wie keine.

Weil zuviel medialer Wirbel um die eigene Person nur von der eigentlichen Kunst ablenke. Sie muss es wissen, denn in den 60er und 70er Jahren sorgte sie zusammen mit ihrem geschiedenen Mann Abi als Popduo weltweit für Furore.

25 Jahre nach ihrer Rückkehr nach Deutschland geht Esther Ofarim jetzt erstmals wieder auf Tournee. Mit jüdischen Volksliedern, Beatles- und Kurt-Weill-Songs wird die 66-jährige Sängerin die Konzertreihe «Voices» im Ludwig Forum Aachen eröffnen. Für das Aachener Publikum brach Esther Ofarim im Vorfeld ihr Schweigen exklusiv. Mit ihr sprach unser Mitarbeiter Michael Loesl.

Frau Ofarim, war Ihr Erfolg in der Popwelt der 60er Jahre so aufreibend, dass Sie sich für mehr als 20 Jahre aus dem Unterhaltungsgeschäft zurückziehen mussten?

Ofarim: Nein, von «müssen» kann keine Rede sein. Ich habe in den 60ern sehr viel in Bereichen gearbeitet, die mir zwar Spaß bereiteten, in denen ich allerdings nicht hundertprozentig zuhause war. In den 70ern versuchte ich dann, mich in anderen stilistischen Bereichen zu etablieren, was allerdings mit unglaublichem medialem Wirbel einherging. Verglichen mit der Situation heute funktionierte das damals zwar noch gesittet, aber ich fühlte, dass ich mich langsam aber sicher aus dem Kreislauf Fernsehen, Radio, Presse entfernen musste. Weil mehr über mein Privatleben als über meine Musik geredet wurde.

Ihre Kunst, das Singen und die Schauspielerei, blieben demnach unbeachtet, weil sich der Fokus der Öffentlichkeit auf Ihre Ehe mit Ihrem ehemaligen Mann konzentrierte?

Ofarim: So ist es. Wissen Sie, ich hatte 1965 in New York mit Bobby Scott eine Jazzplatte eingespielt, auf die ich sehr stolz war. Die ist erst vor zwei Jahren in Deutschland erschienen, weil von meinen eigentlichen Gesangsqualitäten niemand etwas hören wollte. Das ist natürlich frustrierend. Um den Weg zum Publikum zu finden, muss man Hürden nehmen, die mir mit meiner damaligen Popularität einfach zu hoch waren.

Sie mussten also den Popstar Esther Ofarim erst sterben lassen, damit die Künstlerin die notwendigen Nährstoffe zum Leben bekommen konnte?

Ofarim: In gewisser Weise haben Sie recht, wobei mir der Erfolg früher nie als Bedrohung erschien. Ich war viel mehr Teil einer Maschinerie, die eigentlich nur Wiederholungen von Erfolgreichem wünschte. Wenn ich jetzt wieder auf Tour gehe, kann ich endlich den Pluralismus zelebrieren, der meine Künstlerpersönlichkeit ausmacht.

In welcher Repertoireauswahl manifestiert der sich?

Ofarim: Zunächst sollte ich vielleicht sagen, dass meine Konzerte ruhigere Stimmungen bieten als vor 40 Jahren. Das entspricht meiner jetzigen Auffassung von Kunst und Kultur viel mehr als die Marktschreier, die sich heute in der Popwelt tummeln. Im Grunde singe ich das gleiche Repertoire wie immer, abgesehen davon, dass ich bestimmte Stilistiken nicht mehr nur noch im Badezimmer singen darf. «She´s Leaving Home» von den Beatles gehört genauso dazu, wie jüdische Volkslieder, Weill und Songs aus dem Great American Songbook.

Wie reagieren Sie, wenn jemand aus dem Publikum nach Ihrem, von den Bee Gees für Sie geschriebenen Hit «Morning Of My Life» verlangt?

Ofarim: Gute Frage! Ich weiß es nicht. Allerdings habe ich eine exzellente Band dabei, die im Grunde alles improvisieren kann. Wenn also jemand nach dem alten Hit ruft, werden wir ihn vielleicht in einer jazzigen Version als Zugabe spielen. Aber allen, die mich in meiner alten Rolle erleben wollen, werde ich wie eine Diaspora-Erscheinung vorkommen. Nach 40 Jahren habe ich mich schließlich verändert.

In welcher Rolle sehen Sie sich jetzt?

Ofarim: Ich habe ja, wie zuletzt mit Peter Zadek, auch immer als Schauspielerin gearbeitet. Zwar muss ich mich in meinem Gesang nicht an das strikte Korsett eines Schauspielers halten, aber letztlich bin ich auch vor dem Mikrofon eine Geschichtenerzählerin. Die Songs sind meine Geschichten, denen ich Leben und soviel Leidenschaft wie möglich verleihen möchte, um sie zu meinen eigenen Songs machen, obwohl ich sie gar nicht selbst geschrieben habe.

Der Hunger nach der Erweiterung des Erfahrungsschatzes hat also für Sie auch nach 40 Karrierejahren nicht nachgelassen?

Ofarim: Aber nein! Ich bin sehr hungrig nach Leben, weil es so vielfältig und facettenreich ist, dass man in ihm gedanklich-intellektuell und emotional endlos lange spazieren gehen kann, ohne sich zu langweilen. Ich entdecke auch gerne neue Orte, wie zum Beispiel demnächst Aachen. Obwohl ich schon so lange in Deutschland arbeite, bin ich bislang nie dort gewesen. Wie Sie wissen, gebe ich keine Interviews mehr. Ich habe diesem Gespräch nur zugestimmt, weil ich neugierig auf die Aachener bin. Und ein bisschen hoffe ich, dass man dort auch neugierig auf mich ist.

 

taken from aachener-zeitung.de

<-- back to the concert in Aachen

www.esther-ofarim.de