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Das zarte Stimmwunder

Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Esther Ofarim, Sängerin

Esther Ofarim - foto copyright by Hamburger Abendblatt

Sie kann davon nicht lassen. Von diesem vertrackten Konjunktiv Imperfekt. Oder wie immer das heißt. Dieses zögerliche "hätte-sollen". Denn eigentlich, so sagt sie, hätte sie Nein sagen sollen. Zu unserem Treffen. Das sei ihr erst gestern so richtig aufgegangen. Aber da sei es dann zu spät gewesen. Und so ist sie jetzt also doch da. Esther Ofarim, die israelische Sängerin, die sich mit ihrer unverwechselbaren Stimme und einer Mischung aus hebräischen Volksliedern, irischen Balladen, Brecht und Kurt-Weill-Songs und Heinrich Heines "Kinderspiele" eine kleine, feine internationale Fangemeinde erobert hat.

Sie sei eben eine Frau, die nicht Nein sagen könne, sagt sie. Wie in diesem Broadway-Song "I'm Just A Girl Who Can't Say No". Das hört sich fast nach Koketterie an. Denn sie kann es sehr gut. Zu allem, was den modernen Alltag erleichtern soll, allemal. Wie Handy, Notebook, Auto, Digitalkamera, Mikrowelle. "Kein Bedarf." Und sie kann es auch 1969, als sie auf der Höhe ihrer Karriere die Beziehung zu ihrem Ehemann und Gesangspartner abbricht und damit das Ende des erfolgreichsten Gesangsduos der Sechzigerjahre einleitet. Abi und Esther Ofarim, die mit Hits wie "Morning Of My Life" und "Cinderella Rockafella" Konzertsäle rund um den Globus füllen und in Deutschland zum erfolgreichsten Folkpopsong- und Traumpaar werden. Ausverkaufte Konzerte, allein in einem Jahr 45 in 32 Städten, millionenfach verkaufte Schallplatten, Goldene Schallplatten zuhauf.

Ihre danach gestartete Solokarriere bricht sie genauso konsequent ab, als Sohn David geboren wird. Taucht ab in das, was sie heute den Beginn ihrer Freiheit nennt. Bleibt nur in Israel die ganzen Jahre musikalisch präsent. Vor zehn Jahren lässt sie sich dann von Ulrich Waller, dem damaligen Intendanten der Kammerspiele, anlässlich des fünfzigsten Jahrestages der Gründung des Staates Israel zu einem Liederabend überreden. Seitdem ist sie dabeigeblieben. Mit sparsam verteilten Konzerten. Im vergangenen Jahr in Essen, Köln, Berlin, Dortmund. Und an diesem Wochenende mit ihrem neuen Programm "I'll see you in my dreams" im St.-Pauli-Theater. Zusammen mit ihrem Arrangeur und musikalischen Begleiter, dem israelischen Pianisten und Komponisten Yoni Rechter.

Sie ist eine erstaunliche Frau. Die zart und zerbrechlich wirkt und doch eine ungeheure Lebendigkeit und Kraft ausstrahlt. Mit wenig zerfurchter Haut und großen strahlenden Augen. Sie lebe eben sparsam, sagt sie, und das beziehe sich nicht nur auf den finanziellen Aspekt. Sie lebe einfach gebremst, gehe nicht viel aus, meide Partys, sehe wenige Menschen. Das bekomme ihr sehr gut. Mache ihr Hirn frei und die Gedanken klar und vielleicht auch die Haut glatt, oder?, fragt sie und lacht. Früher habe sie auch diese teuren Cremes gekauft, diese Kaviarampullen. "Was für ein Unsinn!" Ihr Geheimrezept seien heute Selbstgespräche. Einfach wunderbar. Sie brauche keinen Psychiater und sei ihre eigene Couch. Und dann lacht sie noch einmal. Leicht und mitreißend.

Hier im Hotel Vier Jahreszeiten fühlt sie sich wohl. Schaut ab und an mal auf einen Tee vorbei. Hotels, überhaupt, sagt sie. Die waren damals ihre Heimat, als sie 60 Konzerte am Stück absolvierte, beim Aufwachen nicht wusste, wo sie gerade war und warum. Und sich trotzdem darin aufgehoben fühlte. Heute seien sie zu einer Metapher ihres Lebens geworden. Eine Antwort auf die immer wieder im Hintergrund lauernde Frage nach ihrer eigentlichen Heimat, ihrem Zuhause. Selbst jetzt, mit fast 68, habe sie darauf noch keine Antwort gefunden. Aber die Trauer sei weg. Über dieses Gefühl, überall und nirgends zu Hause zu sein. Heute empfinde sie es eher als Geschenk. Es sei so, wie für immer in einem Hotel leben. Nur in Gedanken, in Ideen, beim Lesen zu Hause zu sein. Sich darin einen eigenen Lebensraum geschaffen zu haben. In allen Sprachen zu träumen. Von ihrem Bruder auf Hebräisch, "von Ihnen heute Nacht auf Deutsch", und wenn sie auf der Bühne stehe und englische Songs singe, auf Englisch.

Und dann wird es ein erst zögerliches, dann doch offenes Gespräch. Über ihre Ängste. Angst vor allem, was ihr zu nahe käme, sagt sie entschieden. Vor Gesprächen schon mal grundsätzlich. Und vor dem Tod. Auch wenn es nicht sehr populär sei, darüber zu sprechen. Aber so sei es bei ihr nun mal. Die Angst vor dem Tod und ihr Zorn darüber, dass man sich gerade dann, wenn man sich endlich mit dem Leben arrangiert habe, darin wohlfühle, "erwachsen" geworden sei, einfach so abberufen werde. Sie fühle sich keinem Glauben mehr zugehörig und könne also auch keinen Trost darin finden, sagt sie. Ihre Angst vor dem Bühnenauftritt habe sie jetzt endlich überwunden - nach mehr als zwanzig Jahren. Und ja, deshalb könne sie nur hoffen, dass diese Angst vor dem Tod vielleicht auch in den nächsten zwanzig Jahren passé sei.

Bei unserem vorigen Treffen vor zehn Jahren war noch viel von dieser Angst vor jedem Bühnenauftritt die Rede. Heute geht sie erstaunlich nüchtern damit um. Mit großer Distanz zu sich selbst. Erzählt von dieser Frage, die sie sich immer wieder stellt: Warum sie eigentlich auf die Bühne rausgehen soll, um fremden Leuten ihr Herz vor die Füße zu werfen. Und hat endlich doch die Antwort gefunden. Nein, sagt sie lachend, nicht als "exercise" für die Lungen. Es sei dieses Gefühl des Fliegens, dieses den Körper vergessen, leicht werden, sich verlieren können. In der Melodie, dem Text, der Kommunikation mit dem Publikum. Dafür habe sie früher zwei, drei Lieder gebraucht. Und jetzt, sagt sie glücklich, komme das schneller. So als habe das gar nichts mit ihr zu tun. Wie ein Geist irgendwie. Oder eine Belohnung.

 

Seit der Trennung von ihrem zweiten Ehemann Philipp von Sell, dem Vater ihres längst erwachsenen Sohnes David, lebt sie allein. Und das könne sie ganz gut. Ja, sagt sie auf meinen zweifelnden Blick hin, das gehe wunderbar. Ohne Mann, ohne Mikrowelle, ohne Hund. Glauben Sie mir? Nein. Doch, sagt sie. So sei es, man könne alles. "Wie US-Präsident Barack Obama sagt: Yes, we can."

Esther Ofarim geht gern und viel allein spazieren, übt dabei ihre Texte. "Ich hab' ja keinen Teleprompter. Genauso wenig wie eine Mikrowelle." Die wird langsam zum Running Gag in unserem Gespräch. Vielleicht sollten wir uns dann doch mal übers Kochen, übers Essen unterhalten. Eine Frau ohne Gewichtsprobleme, wie es scheint. Ihr Herd sei schon sehr lange kalt, sagt sie. Sie koche einfach nicht, gehe lieber Essen. Und lebe ungesund. Esse gerne fette Sachen. Sehr sehr fette. Schokolade, Nüsse. Vor allem, seit Sohn David nicht mehr zu Hause ist. Der 25-Jährige besucht in Boston ein Musikcollege. Noch ein Musiker? Ja, sagt sie, I am afraid. Er liebe Musik. Sei glücklich dabei. Und für dieses Glück, sagt sie, müsse man als Mutter seine Vorbehalte aufgeben. Sie habe der Musik schließlich auch "Millionen glücklicher Stunden" zu verdanken. David, der Sohn, ist ihr Beschützer geworden. Ein Rollentausch, sagt sie. Der auf sie aufpasst und sie am liebsten direkt bis ins Flugzeug bringen würde. Und trotzdem letztes Jahr zum ersten Mal Weihnachten nicht bei ihr in Hamburg war. Ein merkwürdiges, irgendwie seltsames Gefühl, sagt sie vorsichtig.

Über den israelisch-palästinensischen Konflikt im Gazastreifen reden wir noch. Der sie mit Trauer erfüllt und den sie für ein unlösbares Problem hält. Nach einer komplizierten 3000-jährigen Geschichte, mit der sie sich gerade beschäftigt. Es wird nie ein Ende haben, sagt Esther Ofarim. Auch wenn sie es sich so sehr wünschen würde. Für dieses Land, in dem sie geboren ist, das sie liebt und dessen Lieder sie singt. Salomos Hohes Lied von der Liebe, von Jerusalem, vom See Genezareth.

Und dann sind wir doch wieder bei diesem "hätte-sollen". Bei meinem diesmal. Ich hätte sie eigentlich nicht nach Abi Ofarim fragen sollen. So, wie verabredet. Aber dann kündigte der heute in München lebende 71-Jährige in der "Bunten" an, dass er wieder auf eine große Tournee gehen will in diesem Jahr. Und daran kommt man einfach nicht vorbei. Doch, sagt Esther Ofarim. Sie lese diese Zeitschriften nicht. Auch nicht beim Friseur? Nein, sie mache alles selber. Dieses leuchtende Henna gäb' es eh nicht beim Friseur. Sie lacht. Pause.

Sie kann sich eben wirklich gut verweigern, diese Frau, die unter ihrer fragilen Hülle eine ganze Menge Stahl zu verbergen scheint. Oder? Nein, sagt sie zum Abschied lachend, Neinsagen sei so viel leichter als Jasagen. "Dann gibt es keine Fragen mehr." Aber auch kein Gespräch. Und das wäre sehr schade gewesen.

erschienen am 31. Januar 2009

 

 

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