Die Lady ist ein Kobold: Esther Ofarim gastierte in den Kammerspielen

Sie musste einfach kommen, wir hatten schließlich drauf gewartet: die verzweifelt verzückte Sehnsuchtsballade eines alternden Mannes an einen Knaben, "Mad About the Boy" von Noel Coward. Sie kam am Ende des Liederabends, und wir waren wieder mal restlos mad about the girl, das diesen Song für uns in den Kammerspielen gesungen hatte. Verrückt nach Esther Ofarim.

An den beiden Ostertagen hatte die in Hamburg lebende Sängerin sozusagen ihr eigenes Überraschungsei ausgepackt, das mit einem Programm der ganz besonderen Art gefüllt war. Es kamen keine in buntes Glanzpapier gewickelten Bonbons und süßliche Fondants, als Zuckerwerk in kuschelig grüne Kunstrasenfäden gebettet, zum Vorschein, sondern Liedgut pur, begleitet lediglich von den exzellenten Musikern Yoni Rechter als Pianist und dem Geiger Michail Paweletz.

Und weil sich die Ofarim bei ihren seltenen Auftritten sängerisch wie gestalterisch auf das Wesentliche konzentriert, können wir uns gar nicht überessen an einem Zuviel überflüssiger Beilagen. Stattdessen wollen wir immer mehr von dem, was sie klug und charmant gewitzt beinahe ausschließlich mit ihrer Stimme singspielt: Lieder und Balladen für Kinder und Erwachsene, Pop und Rock.

Und selbst wenn wir die hebräischen Worte einiger Lieder nicht kennen, wissen wir genau, was sie bedeuten, weil Esther Ofarim sie so singt, dass wir sie verstehen.

Ihr Stil und ihre Stärke verbieten es dabei, sich als Künstlerin zum Anfassen zu gerieren. Selbst das kleine Winken, ein kurzes Achselzucken, ein Lächeln mit Augenzwinkern bedeuten keine Verbrüderung mit dem Publikum, das ihr aufs Herzlichste zugetan ist. Esther Ofarim hält auf ganz private Art Distanz und bewahrt sich damit ein nicht zu entschlüsselndes Geheimnis. Sie ist Lady und knabenhafter Kobold, biblische Seherin und rockige Verkünderin, zärtliche Trösterin und Kodderschnauze zugleich. So eine kann sogar Mendelssohns "Leise zieht durch mein Gemüt" singen, ohne dabei einen Stilbruch zu riskieren. Gekonnt.  MN


Artikel erschienen am 22. Apr 2003, taken from Die Welt

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