Süddeutsche Zeitung, February 3, 1982
Star der
Bescheidenheit
"Man sagt, dass ich gut singe"
Nachdem sich Esther Ofarim jahrelang rar gemacht hat,
will sie jetzt wieder ins Rampenlicht treten
Von unserem Mitarbeiter Axel Winterstein
Ottobrunn, 2. Februar
Eigentlich wollte sie ja Tänzern werden. "Das war", sagt
Esther Ofarim, "mein Jugendtraum, als ich 13 war".
Dann erhielt sie eine schauspielerische Ausbildung,
weil es die berühmte Elisabeth Bergner war, die bei einer
Wohltätigkeitsveranstaltung in Israel in der jungen Esther die Liebe zur Bühne
geweckt hatte. "
Sie war so wunderbar", erinnert sich Esther Ofarim.
"Noch heute weiß ich in allen Einzelheiten, wie Frau Bergner
ausschaute,
wie sie sich bewegte, wie sie auf mich zukam, wie sie mich umarmte und küsste."
Doch weltberühmt wurde die Tochter eines Bauarbeiters schließlich als Sängerin. Jetzt will sie wieder singen,
nachdem sie sich zumindest in Europa jahrelang rar machte: Mitte März erscheint ihre neueste Langspielpatte mit der
Musik von Eberhard Schöner und mit Texten von Wolf Wondratschek. Sie wird fast verlegen, wenn sie sagen muß, wann
sie zuletzt in Europa eine LP herausbrachte: Es war 1973. Seitdem gab es nur die Aufnahme eines Konzertes von
1973
in Tel Aviv. Die Platte war in Euroa aber praktisch nicht zu haben. Während der ganzen Zeit hatte Esther Ofarim
jedoch ein Refugium bei München: eine Reihenhauswohnung in Ottobrun. Früher wohnte dort ihre Mutter und zeitweise
ein Bruder, Esther weilte da zu Besuch, wenn sie in Bayern war, und seit zwei Jahren lebt sie ständig hier.
Zusammen mit dem 23jährigen Philipp von Sell, dem Sohn des Intendanten des Westdeutschen Rundfunks,
Friedrich-Wilhelm von Sell. Der junge Mann arbeitet bei der Bavaria in der Ausstattung und fühlt sich - als
Fernziel - zur Filmregie hingezogen.
Heim im Reihenhaus
Esther Ofarim selbst ist voriges Jahr 40 geworden. Doch sie sagt: "Keiner von uns denkt an den Altersunterschied.
Es gab dadurch noch niemals Probleme." Ob sie heiraten werden, weiß sie nicht:
"Ich werde es aber rechtzeitig genug bekanntgeben."
Das Reihenhaus in Ottobrun nimmt sich von außen eher bescheidenn aus. Eine schmale Frond mit anonymem Zugang. Innen
dann eine Ansammlung von Geld und Geschmack. In der Diele die orange gehaltene Tapete nach dem Design eines New
Yorker Künstlers und im Wohnzimmer Antiquarisches: ein versilberter Jugendstilspiegel, ein Barockspiegel, eine
Jugendstillampe, ein Bauernschrank von 1745, der die Stereoanlage sowie Schallplatten enthält, und an den Wänden
ein Perser- sowie ein Kaschmir-Teppich. Die beiden Boxen der Stereoanlage sind relativ versteckt unter der Decke angebracht.
Außerdem gibt es ein grünes Klavier, einen Tisch mit Glasplatte und eine riesige weiße Couch, in der die Bewohnerin wie verloren wirkt. Esther Ofarim ist 1,56 Meter groß und wiegt 41 Kilogramm, obwohl sie gerne und gut isst, vor allem französisch und italienisch und vor allem in Restaurants, weil sie selbst in der Küche "nicht so gut" ist. Bei aller Zierlichkeit wirkt sie freilich keineswegs zerbrechlich. Sie ist nie ernsthaft krank gewesen, und als Kibbuz-Arbeiterin würde sie vermutlich - wenn sie müßte - ebenso bestehen wie auf der Bühne.
50 000 Mark Gage
Der Eindruck von zarter Robustheit wird auch durch ihre Hautfarbe hervorgerufen, die dunkler ist, als dies auf Schwarzweiß-Photos erkennbar wird. Esther Ofarim ist eine Sephardim, stammt also von Juden ab, die einst aus Spanien kamen und in ihrem Fall schon vor sieben Generationen über Nordafrika ins Land der Bibel gelangten.
Dort ließen sie sich in Safed nieder, einer Stadt in Galiläa, in der seit den Zeiten der Römer praktisch ununterbrochen Juden lebten und die seit dem 16. Jahrhundert das Zentrum des jüdischen
Mystik ist. Safed ist eine Stadt der Synagogen und frommer Schriftgelehrter.
"Noch heute", berichtet Esther Ofarim, "ein träumerischer, etwas
weltferner Ort mit komischen Leuten - nämlich den Orthodoxen." Seit
einigen Jahrzehnten schließlich gibt es dort außerdem eine der bekanntesten
Künstlerkolonien Israels. Als Esther am 13. Juni 1941 in Safed geboren wurde,
lebten in dem Ort, der durch zwei Erdbeben 1759 und 1837 in Trümmer gelegt
worden war, nur ein paar Handwerker und ein paar alte Rabbis.
Aus diesem Umfeld versponnener Kabbalistik eine Weltkarriere gestartet zu haben, erklärt vielleicht, warum diese Esther Ofarim bisweilen auch heute noch gleichsam staunend neben sich steht und ohne Koketterie meint, eigentlich gar nicht so genau zu wissen, ob sie eine gute Stimme habe: "Ich kenne meine Stimme nicht; denn ich höre fast nie meine eigenen Platten, außer wenn ich
sie vom Text her beurteilen muß. Aber man sagt, dass ich gut singen kann."
Mit diesem "Traum einer Stimme" (Die Abendzeitung) soll sie immerhin
in ihren fetten Jahren von 1962 bis 1969 zusammen mit ihrem Mann Abi Ofarim rund
zehn Millionen verdient haben. Es war ein Duo, das damals wie die
"Beatles" und die "Rolling Stones" der Gunst des Publikums
überrundete:
neun goldene Langspielplatten, bis auf den letzten ausverkaufte
Mammuttourneen.
50 000 Mark Gagen für einen einzigen Galaauftritt, Empfängen bei Queen Elizabeth, Wohnungen in New York, Israel und München, zeitweise auch in Genf und London, und Hymnen von der Kritik: "Rausch-goldengel" oder "Großmeistern der kleinen Gestik" oder "Show-Star der Bescheidenheit".
Von den Goldenen Schallplatten liegen jetzt zwei in der Wohnung in Ottobrun "in irgendeiner
Schublade".