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Esther Ofarim

Auf blauen Flügeln

Die Beste, seit uns Joseph der Träumer seine Geschichten erzählte

Pharaonische Perücke, altägyptischer Lidstrich, scheue Dominanz: Esther Ofarim Ende der sechziger Jahre - Foto:dpa
Pharaonische Perücke, altägyptischer Lidstrich, scheue Dominanz: Esther Ofarim Ende der sechziger Jahre - Foto:dpa

13. Juni 2011 2011-06-13 17:25:02

 

 

1963 trat Esther Ofarim zum ersten Mal in Europa auf. Als Vertreterin der Schweiz beim Grand Prix Eurovision sang sie, winzig, zerbrechlich, riesige Kinderaugen, "Ten vas pas", ein trauriges Chanson á la Brel. Ovationen, nach der Punktevergabe war sie zwanzig Sekunden die ungläubig staunende Gewinnerin. Bis eine Korrektur sie auf den zweiten Platz verwies. Sie trug es mit einer natürlichen Würde, die wohltuend vom hölzernen Gehabe der übrigen Beteiligten abstach.

Geschadet hat ihr die Niederlage nicht: Der Titel stürmte die schweizerische und französische Hitparade, und auch die deutsche, trotz oder wegen der haarsträubend biederen Übersetzung. Frankreich war anspruchsvoller. Dort erhielt Esther Ofarim 1966 den Grand Prix Du Disque für ein Album mit chansonesk ziselierten, sorgfältig ins Französische übertragenen Versionen amerikanischer Folksongs. Ihr stupendes Können belegt seit einigen Tagen eine neue CD mit Titeln, die sie 1973 aufnahm: 
Auf "Le chant des chants" singt sie, mal glockenklar, mal mit gutturalem Timbre, Titel von Carly Simon und Schunges

"Joseph Damiano". Angestaubt? Nein, so fesselnd, als sei das gestern erst produziert.

In den sechziger Jahren aber war Frankreich Nebenschauplatz der Karriere von Esther Ofarim. Ihren eigentlich Durchbruch brachte 1965 eine Deutschland-Tournee, die sie mit ihrem damaligen Mann Abraham Reichstadt als Esther und Abi Ofarim absolvierte. Auf hebräische Volkslieder zurückgreifend, mit denen sie in Israel berühmt geworden war, ergänzt um traditionelle und neue internationale Folksongs, wurde sie ein Idol der aufkeimenden Jugendbewegung. Mit pharaonischer Langhaarperücke und altägyptischem Lidstrich, Rollkragen, Jeans und Samtgewand irgendetwas zwischen Nofretete und Greco, Sabra und Studentin, stand sie, notorisch scheu und doch dominant, mit ihrem Partner auf der Bühne. Zwei Israelis sangen den Baumwollsong schwarzer Sklaven und weißer Herrn - so schien den Jungen die erträumte Weltverschwisterung zum Greifen nah. Doch auch die Eltern vergötterten Esther Ofarim. Wie viel Anteil daran die innere Flucht vor den Schatten des "Dritten Reichs" hatte, ob die Sängerin ahnungslos die Albträume der Kriegsgeneration zu tröstenden wandelte, mögen Psychologen analysieren. Fest steht, dass das "Establishment" am "Spatz von Haifa" liebte, was es hiesigen Stars nie verzieh: Fremdsprachigkeit, neue Rhythmen, gewagte Texte, internationales Repertoire.

Das Duo nutzte diesen Bonus für eine geschickte Mischung aus Protest und Mainstream, Folk und Pop, Schnulze und Jazz. Sein bestes Album erschien 1967: "2 in 3" erregte in Frankreich mit einer bohrenden Version von Boris Vians "Le déserteur" Bewunderung - und hierzulande mit Brecht/Weills "Seeräuber-Jenny" Befremden. Noch nie hatte eine so furios kalten Hass gesungen, so drastisch den Rachewahn einer getretenen Nutte vorgetragen, hatte das "Hoppla" zum Fallbeil so aberwitzig zufrieden geklirrt - die hiesige Kritik aber mäkelte, eine Unterhaltungskünstlerin habe sich am Brechtschen Klassiker vergriffen. Dass das Duo mit dem bei Palästinensern wie Israelis beliebten traditionellen "Hora" ein Versöhnungszeichen gewagt hatte, ging im Streit unter.

Dem Paar dürfte der Eklat egal gewesen sein. Denn zur selben Zeit stieß sein Titel "Cinderella Rockefella", eine Parodie auf die Rickie-Tickie-Songs der zwanziger Jahre, in die Hitparaden vor. Davon beeindruckt, buchten England und Amerika Konzerte und Shows. "Morning of my life", von den Bee Gees im Frisco-Sound für das Duo komponiert, und "One more Dance", ein bei uns als "Noch einen Tanz" erfolgreiches Faksimile der alten giftigen Wiener Kabarettlieder, festigten den internationalen Erfolg.

Doch trotz beginnender Weltkarriere trennte sich das Paar. Esther Ofarim zog sich zurück. Selbst ein frenetisch gefeierter Auftritt auf der "Midem" in Cannes, wo sie den Gospel "Motherless Child" eindringlich bis an die Grenze des Erträglichen sang, änderte daran nichts. Dem Repertoire bekam dies Beiseitetreten hervorragend. Davon zeugen die sporadischen Soloalben. Eines, arrangiert von Jazzmeister Klaus Doldinger, trug ihr 1972 mit herben Versionen der Songs von Leonard Cohen dessen Lob ein; "Complicated Ladies", wo sie für Eberhard Schoener dessen elektronische Vertonungen von Wondratschek-Texten interpretierte, erhielt 1982 enthusiastische Kritiken.

So auch, als Peter Zadek sie für die Rolle der Ex-Nachtklubsängerin Chaja in der deutschen Erstaufführung von Joshua Sobols "Ghetto" 1984 nach Hamburg holte. Höhepunkt war ein Tango, komponiert und getextet nach Aufzeichnungen aus dem Getto von Wilna. Fast bewegungslos sang Esther Ofarim den Refrain: "Frühling, auf deinen blauen Flügeln, oh nimm mein Herz mit" und machte beängstigend deutlich, dass die Todgeweihten unter dem Blick der Henker am Ideal der "Dichter und Denker" und an Eduard Mörikes blauem Band festgehalten hatten.

Erst 1998 betrat sie in den Hamburger Kammerspielen wieder eine Bühne - als Sängerin, frei von allen früheren Manierismen. Jubel, Nostalgie - und Erschütterung bei Randy Newmans "In Germany Before the War". Wie der Text, der den furchtbar biederen Serienmörder Peter Kürten aus dem Düsseldorf der späten Weimarer Republik ins Jahr 1934 versetzt, mit Andeutungen anstelle platter Analogien Betroffenheitskitsch meidet, hielt auch sie Distanz. "We lie beneath the autum sky, my little golden girl and I - and she lies very still." Die eisig sanfte Ruhe, mit der sie die Untat besang, machte das Lied zur Parabel der oft so sentimentalen Massenmörder des "Tausendjährigen Reichs".

Die Totenstille im Saal beendete Esther Ofarim mit einer hinreißend zickigen Version von Noël Cowards "Mad About the Boy". Das weibliche Pendant von Thomas Manns biblischem Träumer Joseph, jenem wunderbare Geschichten erzählenden Schönen mit "dem weichen Ausdruck der schwarzen, etwas schrägsitzenden Augen", verzauberte sie das Publikum danach mit uralten Liedern über Wüstenwanderungen und letzte Bootsfahrten, Galiläa-Wind, Sternschnuppen und andere Illusionen.

"Es gibt Nächte, an die ich mich immer erinnern werde", beginnt "Hayú leilóth", entstanden in den Pioniertagen Israels und eines ihrer schönsten Lieder. Es hat sie durch ihre gesamte Karriere begleitet. "Auf dem Weg zwischen Degania und Kinnereth stand mein beladener Wagen des Lebens", heißt es da, endend mit der Frage, ob jemand den Geliebten gesehen habe, der ihr dort begegnete und nach Monaten der Leidenschaft wortlos ging. Wenn sie das Lied heute singt, mädchenhaft, wie sie heute noch wirkt, weitet sich das winzige Genezareth zur Welt, 
und dehnt sich die Zeit vom Einst bis in ferne Zukunft, ist Sehnsucht zeitlos.

Nur in Deutschland mit seiner spezifischen Geschichte können in der Person Esther Ofarims und ihren Liedern Kunst und Leben einander so nahe kommen, so wie nur sie es in Israel wagen konnte, Johannes Brahms' Abendlied, und den "Frühlingsgruß" von Heine/Fallersleben/Mendelssohn im deutschen Original zu singen. "Leise zieht durch mein Gemüt": Das ist die eine Seite der heutigen Ofarim. Versöhnt mit ihrer Frühzeit singt sie nun auch wieder "Cinderella Rockefella", die spöttelnde New-Deal-Ausgabe des alten Sterntalermärchens, in der es Schecks statt Gold regnet. Das wird sie noch oft tun. Am gestrigen Montag feierte sie ihren siebzigsten Geburtstag.DIETER BARTETZKO

Text: F.A.Z.

 

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