Frankfurter Allgemeine Zeitung -
31.01.2005:
Von den zerbrochenen Lieben
Wenn der Wind darüber geht: Die Sängerin Esther Ofarim in der Frankfurter
Alten Oper
Auch ein sehr schmerzhafter körperlicher Fall ist eine Bagatelle verglichen mit
dem, der entäuschender Liebe folgt. Man fällt endlos und landet hart. Der
Schmerz bleibt, denn an gebrochenem Herzen stirbt man nicht, sondern lebt als
Seelenkrüppel weiter und weiter. Das erzählt die alte schottische Ballade
"Wally Wally", mit der Esther Ofarim ihr Konzert begann - und sofort
waren die zeitgeistige Plapperweisheit von Trauerarbeit und die ewige Litanei
von der Zeit die alle Wunden heile, vergessen.
So begann ein Zauberabend, der eineinhalb Stunden das allgemeine Abstumpfen und
lebensnotwendige Taktieren auflöste. Liebe, der man traue, sagt das Lied, sei
wie eine mächtige Eiche, an die man sich stütze, bis sie, innen morsch,
stürzt und den Vertrauenden mitreißt. Der andere aber, der berechnet statt zu
vetrauen, geht sorgenfrei davon."The winner takes it all, the looser's
standin' small", hieß das eisig lakonisch im Abba-Hit. Damals hatte sich
Esther Ofarim auf dem Zenit der Karriere von ihrem Partner Abraham getrennt und
war auf ihrem eigenwilligen zweiten Weg als Solistin, Muse Eberhard
Schönbergers und Zadek-Schauspielerin. Jetzt, dreißig Jahre später, steht sie
auf der Bühne der Alten Oper und singt von zerbrochenen Lieben, aschgrau
gewordenen Träumen, verglühten Hoffnungen, singt Blues, Balladen und
Jazzsongs, uralten Troubadourchansons, sephardische Klagegesänge aus dem
Spanien der Inquisitionszeit und hebräische Lieder aus dem Israel der frühen
Jahre, das so erwartungsvoll war und doch das Leid der Diaspora mitschleppte.
Deshalb scheinen die Flügel des Friedensengels, von dem das Lied
"Jerusalem" singt, zu bluten und flackern bei Randy Newmans "In
Germany before the war" Düsseldorf, der nächtliche Rhein, der traurige
Geschäftmann, der am Nazireich verdient , und das kleine blonde Mädchen, das
ihm begegnet, wie Höllenbilder von Hieronymus Bosch. Bei Esther Ofarim wird
selbst der ausgediente Schmachtfetzen "Over the Rainbow" zur
beklemmenden sanften Demontage frommer Lügen: Wer tatsächlich über den
Regenbogen flöge, träfe auf eine verkohlte Wüste, in der das Bild vom Phoenix
aus der Asche in Sekunden zerschmizt. Und das einzige Gras, das über die Sache
getrogener Liebe wachse, heißt es im Blues "Every Night, When The Sun Goes
In", sei das, von dem Verlassene sich wünschen, daß es bald auf ihrem
Grab wachse.
Nur wenn es um Aufbrüche geht, wird es hell. Bei "Zyuniuney
Haderech", dem optimistischen Wanderlied israelischer Pioniere, oder bei
"She's Leaving Home", das übermütig - nicht schadenfroh - Eltern
verspottet, die zusammebrechen, weil ihre herangewachsenen Kinder nach dem
Freisein eines Achterbahn-Daseins greifen, statt den
versicherunspolicegestützten elterlichen Flachkurs der Riesterrenten-Idylle zu
halten. Mit Eulenspiegelcharme singt Esther Ofarim den Beatles-Song, verschmitzt
und leicht, als sei die stupende Koloratur, mit der sie das Lied adelt, nicht
der Rede wert. Überhaupt ist die Sängern, verglichen mit ihrer sonstigen
notorischen Scheu, diesmal ungewöhnlich gelöst. Die sonst nur Peter Zadek
vorbehaltene präzise Schauspielerin kommt zum Vorschein. Sie arbeitet sparsam -
ein Griff ins hennafeuerrote Haar, ein keifend klirrender Langton, und bei
Weills "Moon of Alabama" steht plötzlich eine ausgemergelte Hure da,
die ohne Whiskey im Delirium tremenz versinken wird. Noel Cowards "Mad
about the Boy" - eine platinierte steel magnolia verlacht sich und
die Mannsbilder. Harry Warrens "I only have eyes for you" - Ironie
umarmt Schmärmerei, und noch immer flirren die Kohleaugen, mit denen die
Sängerin ehemals erst Deutschland, dann England und Amerika verhexte. Nur
ein Flügel (Yoni Rechter), eine Geige (Michali Paweletz) und ein Tenorsaxophon
(Eli Degibri) begleiten sie. Doch die Stimme macht aus ihnen bei Bedarf ein
Symphonieorchester, eine Bigband oder Kammermusiker, ist mal guttural, mal
glasklar, samtweich, eisenhart und immer unglaublich biegsam. Rührung, als am
Ende "Morning of my life" tönt, jene versponnene zuversichtliche
Flower-Power-Hymne, die Esther Ofairm 1969 zum Idol machte. Doch mit Mendelssohn
Bartholdys "Gruß" schließt sich der melancholische Kreis: "Zieh
hinaus bis an das Haus, wo die Veilchen sprießen" - Rilkes "Wer jetzt
kein Haus baut" schwang mit und das resignierte Wissen jenes Psalms, der
sagt: "Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, der blühet wie eine Blume
auf dem Felde. Wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre
Stätte kennet sie nicht mehr." - Dieter Bartetzko
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www.esther-ofarim.de