Man hat sie nicht vergessen. Ihre letzte Tournee
liegt gut 20 Jahre zurück, seit den späten Achtziger Jahren hatte sie sich
fast vollends aus der Öffentlichkeit verabschiedet. Trotzdem strömten die
Menschen zahlreich in die Alte Oper um ein Wiedersehen mit Esther Ofarim zu
feiern.
In den sechzigern gelangte sie im Duo mit ihrem Mann Abi zu Ruhm. Mit ihrer
Mischung als Folk und Schlager landeten sie Hit auf Hit. Bei Songs wie Cinderella
Rockefella und vor allem der Bee Gees-Schmonzette Morning of my Life
lag die Welt dem jungen Pärchen aus Israel zu Füßen. 1969 haben sie sich
getrennt. Abi widmete sich fortan vor allem den Drogen, Esthers Solokarriere
verlief auch ohne ganz große Hits weiterhin erfolgreich, etablierte sie
jedoch immer mehr in der Rolle der Schlagersängerin.
Doch irgendwann hatte sie genug von Liedern, die sie nicht singen wollte: In
Peter Zadeks Musical Ghetto übernahm sie die Hauptrolle und
verabschiedete sich damit aus der Welt des Glamours. Nach Ghetto zog
sie sich vollends von Deutschen Bühnen zurück. Um nun, 15 Jahre später, ein
Comeback zu geben - und was für eines!
Kein einziger der Hits aus der "Esther & Abi"-Zeit ist heute
noch im Repertoire, nur das Traditional Dirty old Town erinnert an
diese Vergangenheit. Stattdessen singt sie viele israelische Lieder, einige
Brecht/Weill-Stücke, Leonard Cohen, Beatles. So ist einerseits alles anders
und dennoch genau wie früher. Denn an Esther Ofarim selbst scheint die Zeit
spurlos vorübergegangen zu sein.
Mit dem ersten Ton ist sie wieder präsent: diese zarte Stimme, die doch solch
eine unglaubliche Spannweite hat. Die zwischen operettenhaften Höhen gerade
noch diesseits der Schmerzgrenze und subtilen Zwischentönen jede musikalische
Facette verinnerlicht hat. Und die über die Jahrzehnte fast unverändert
geblieben ist. Ihr Klang lässt wohl niemanden unberührt.
Gerade Dirty old Town wird so zur harten Prüfung, als nach großartigem
Konzertbeginn kurz zu befürchten stand, es könnte nun in kammermusikalisches
Geträllere abgleiten. Doch das wurde ausgerechnet mit She's leaving home
von den Beatles umgehend zerstreut.
Wer ein Lied, das eine wirklich gewaltige Kitschfalle darstellt, in genau
diesem Moment dermaßen ironisch und sarkastisch interpretiert, dem letzten
"Bye Bye" noch ein keckes Winken hinterherschickt, der weiß genau,
was er wie, wo und warum in ebendieser Form singt. Daher auch die Songauswahl,
daher die sparsame Begleitung durch Piano, Violine und Klarinette. Neben
Esther Ofarims Stimme ist mehr nicht nötig, um sämtlichen Stücken des nur
eine Stunde dauernden Programms eine faszinierende Stimmung zu geben. Selbst Guten
Abend, gut' Nacht geht so unter die Haut. Und das ist jetzt frei von
jeglicher Ironie so gemeint.
So wurde dieser kurze, unspektakulär arrangierte Abend zum triumphalen
Comeback. Der minutenlange Jubel des Publikums veranlasste die Sängerin, als
letzte Zugabe ein zweites Mal das stärkste Lied des Abends, Noel Cowards Mad
about the Boy zu bringen. Irgendjemand forderte zuvor zaghaft Morning
of my Life, doch nicht einmal als selbstironisches Zitat fand es Platz.
Scheinbar hat sich die Verbitterung über diese Zeit ihres Lebens noch nicht
ausreichend gelegt. Es müssen wohl noch einmal fünfzehn Jahre vergehen. Wir
werden geduldig warten. Und wenn Esther Ofarim es dann noch immer nicht singen
mag, gewiss trotzdem nicht enttäuscht werden. Denn darum geht es nicht mehr.
taken from
Frankfurter Rundschau