Esther Ofarim, Concert in Frankfurt, March 20th,
2003 Frankfurter Allgemeine (FAZ)
Sie ist zu bejubeln
Nun ganz bei sich: Esther Ofarim in der Alten Oper Frankfurt
Sie ist wieder da. Besser sagt man, sie ist da. Denn die Sängerin Esther
Ofarim ist nun
ganz bei sich angelangt: Außer der phänomenalen Stimme hatte die Person, die
auf der Bühne der Frankfurter Alten Oper stand, nichts gemein mit jenem aparten
Kunst-
geschöpf der sechziger Jahre, dessen Cds heute in den Fächern
"Nostalgie" stehen und dessen Songs in Nachtprogrammem als Evergreens
auftauchen.
Eines davon, das weiß Gott diesen Status verdient hätte, ist längst
vergessen:"T'en vas pas", ein Chanson, dessen Titel nicht nur auf das
geniale "Ne me quitte pas" anspielt, sondern tatsächlich Jacques
Brels Dramatik besitzt. Die Ofarim sang es 1963 beim Grand Prix, verpaßte wegen
einer Punktkorrektur den Sieg - und wurde sofort berühmt. "Song der
Welt" hieß dann ihr erstes Album, aufgenommen 1964 mit ihrem Partner Abi
Ofarim. Balladen und Blues, Seeger, Dylan, Donovan. Das Duo erhielt dafür
Preise in ganz Europa, vor allem aber in Deutschland. In Frankfurt sang sie
daraus noch einmal "Dirty Old Town", das Lied früher englischer
Industriestädte, wo Ruß die Frühlingsblüten verkrüppelt, Katzen an rostigen
Piers kreischen und der Mond über alten Schloten steht. Wiedererkennung ging
durch die Reihen. Als "Waly Waly" folgte, die einst ebenso berühmte
schottische Ballade vom betrogenen Mädchen, hofften viele auf die Popfolktitel
jener Zeit, auf "Morning Of My Life" oder "Cinderellea
Rockefella", die die europäischen und sogar die amerikanischen Hitparaden
erobert haben. Wallegewänder zwischen Flower-Power und Neoromantik waren damals
ihr Markenzeichen, Cleopatra-Perücke und riesige Nofretete-Augen. Alle Welt war
begeistert, die Deutschen aber waren hypnotisiert. Ihnen erschienen Esther und
Abi Ofarim nicht nur als Vertreter eines musikalischen Internationalismus, der,
angesiedelt zwischen Studentenbewegung und Weltschmerz, die verunsicherte
Republik tröstete, sondern vor allem als Boten Israels und einer neuen
Generation, die vielleicht Wege der Aussöhnung finden würde.
Frankfurt erlebte keine Neuauflage dieser unterbewußten Lieben und
Projektionen: Weder war die Göttin des gepflegten Hippietums von damals zurückgekommen
noch die "schöne Jüdin", deren Namen und Erscheinung
alttestamentarische Legenden weckten, und auch nicht jene Schauspielsängerin
aus Peter Zadeks "Ghetto" von 1984, über die Georg Hensel in dieser
Zeitung ergriffen schrieb: "Sie wäre zu bejubeln, doch ihr Stil erlaubt
das Jubeln nicht, sie singt die furchtbare Situation mit, in der sie
steckt." Nun sang eine scheue, extrem beherrschte Frau Folklore und den
Intelleltuellenjazz Weills. Ruhig und leise sagte sie ihre Lieder an, wurde
begleitet von einem Pianisten, einem Saxophonisten und einem Geiger;
Kammermusik.
Doch der Gesang weitete alles zum großen Drama. Atemberaubend wandlungsfähig
ist die Stimme noch, kann endlos lange gläsern leise Töne halten, federt mühelos
ins Espressivo, meistert Oktavensprünge: Europäisierter Orient klang, wenn sie
Hebräisches sang. "God Bless The Child" wechselte aus dem Filigran
eines Kunstliedes in den guturalen Schrei der Bronx. Im "She's Leavin'
Home" der Beatles legte sie nie gehörte Häme frei. Nach dem
scheidenden"Alabama Song" durchbrachen Bravos die vorherige
bewundernde Zurückhaltung des Publikums. Beim sephardischenTraumlied, das Großmutter
und Enkelin am Nachthimmel schweben und die Sterne zählen läßt, versank die
Welt.
Finale: "Mad About The Boy", der Tango, in dem sich Noel Coward das
Leid und die Mokanz des alternden Schwulen von der Seele schrieb. Sie bot ein
Feuerwerk von Kieksern, Seufzern und hysterischen Schreien, eine brillante Komödiantin
plötzlich. Dann Brahms' "Guten Abend, gute Nacht", rührend schlicht.
Wem die Grenze zum Kitsch doch touchiert schien, den korrigierte ein kleines
Lachen nach dem Schlußton. Es war eine der wenigen spontanen Gefühlsregungen,
die Esther Ofarim außerhalb ihrer Lieder zeigte. Man hätte ihr die Sterne dafür
schenken mögen.
Dieter Bartetzko
Frankfurter Allgemeine (FAZ)