Interview
Esther, viel zu groß für Pop
NRZ: Frau Ofarim, sprechen wir nicht so sehr über die Vergangenheit, sondern über die Musik, die Sie heute machen. Ihre letzte CD ist ein Konzertmitschnitt aus dem Jahr 2003. Warum gibt es von Ihnen keine aktuelle Musik?
Ofarim: Was nennen Sie aktuell? Wenn Sie neue Aufnahmen meinen, nun, dann ist 2003 für mich so wie gestern. Dieser Rhythmus - jedes Jahr eine neue Platte - das ist nicht mein Ding, in diesem Wettbewerb will ich nicht mitmischen, und das auch schon seit vier Jahrzehnten nicht mehr. Ich lebe und arbeite ganz anders, kurz, ich ticke anders. Das war einmal, doch wir wollten ja auch nicht über Vergangenes reden, oder?
NRZ: Aber gibt es nicht auch neu entdeckte Lieder, die Sie gerne aufnehmen wollen?
Ofarim: Ich glaube, dass ich alles, was für mich von Bedeutung ist, bereits aufgenommen habe. Die Kurt Weill-Songs etwa. Sie sind allerdings ganz anders heute, meine Stimme hat sich gewandelt, ich als Person und Künstlerin natürlich auch. Es gibt nicht mehr diese jungfräuliche Esther Ofarim, ich stehe heute für viel mehr Emotionen als früher. Ich habe auch keine Scheu mehr, Verletzlichkeit zu zeigen. Das ist der Unterschied. Und das ist vielleicht auch die Antwort auf Ihre Frage: Jedesmal wenn ich ein Lied singe, ist es für mich wie ein neues Lied. Und jede Begegnung mit dem Publikum ist neu, völlig frei von Routine.
NRZ: Gibt es zeitgenössische Künstler, die Sie schätzen?
Ofarim: Rufus Wainwright, der ist für mich im Moment mein Lieblingssänger, aber das heißt nicht, dass ich seine Songs interpretieren möchte. Das ist schon eine andere Welt und, ehrlich gesagt, ich habe nicht mehr so viel Zeit, um mich zu erneuern (lacht).
NRZ: Was muss ein Lied mitbringen, damit es Sie fasziniert?
Ofarim: Die Schönheit des Textes, verbunden mit der Musik, das ist sehr wichtig. Ein Lied muss elegant sein, eine Wahrheit vermitteln, dem darf nichts Banales anhaften. Auch wenn ich ein Kinderlied singe - was ich gelegentlich tue - geschieht das doch immer mit meiner Erfahrung.
NRZ: In welcher Gesangstradition sehen Sie sich selbst?
Ofarim: Meine musikalischen Wurzeln sind natürlich da zu finden, wo ich aufgewachsen bin, in Israel. Sie haben sich jedoch mittlerweile ausgebreitet, sie sind überall. Ich habe die restliche Welt in fünfzig Jahren gesehen, sie gerochen, geschmeckt, gefühlt, gelebt. Aber ich liebe immer noch die hebräischen Lieder, die Sprache, insofern bin ich noch stark verbunden mit meiner Herkunft. In meinem Repertoire gibt es einige hebräische Lieder wie "Ten li yad" und "Besade patuach", das ist eigentlich schon Poesie und hat mit Pop nun wirklich nichts zu tun.
NRZ: Immer noch fällt die ungeheure Kraft auf, die von Ihrer Stimme ausgeht. Sie scheint die Musik ganz allein zu tragen. Bei jüngeren Interpreten hat man dagegen oft den Eindruck, als sei die Stimme das schwächste Glied in der musikalischen Kette.
Ofarim: Ja, das ist traurig, aber in dieser Popwelt bin ich nicht zu Hause.
NRZ: Denken Sie, dass Ihre frühere Karriere als Popstar der Künstlerin Esther Ofarim später eher hinderlich war?
Ofarim: Für mich selbst nicht, denn ich wusste immer, was ich machen wollte. Diese kommerzielle Seite, sie bildet im Rückblick ja nur einen Teil dessen ab, was ich insgesamt gemacht habe, Theater zum Beispiel. Um von Peter Zadek für eine Rolle angesprochen zu werden, dafür war meine Popularität gewiss nicht von Nachteil.
NRZ: Das deutsche Publikum war Ihnen immer ganz besonders wohlgesonnen, woran liegt das?
Ofarim: Ich überlege heute noch wirklich sehr oft, was das war zwischen mir und dem deutschen Publikum. Ich weiß es immer noch nicht, denn in Frankreich und England waren Abi und ich damals ja auch sehr populär, wenn auch nicht so lange wie in Deutschland. Ich hoffe nur, dass es nicht damit zu tun hatte, dass ich Jüdin bin, ich glaube eher, die Leute haben in mir einfach nur das schöne Mädchen mit den großen Augen gesehen.
Esther Ofarim - eine Reise durch
Jahrhunderte und Kontinente, Montag, 7. April, 20 Uhr, Philharmonie
Essen, Karten Tel: 01805-95 95 98. www.philharmonie-essen.de
taken from NRZ / derwesten.de