Taken from Hamburger Morgenpost
INTERVIEW | 23.12.2003
Esther Ofarim: »Vertrauen ist mir am wichtigsten«
Zurückgezogen lebt die israelische Sängerin in Hamburg
Mit 19 Jahren spielte sie 1960 an der Seite von Paul Newman im
"Oscar"-prämierten Israel-Film "Exodus", Frank
Sinatra entdeckte Esther
Ofarim als Sängerin und holte sie in seine TV-Show. Nachdem die in
Nazareth
geborene Künstlerin für die Schweiz 1963 den 2. Platz beim "Grand
Prix
Eurovision" gewann, begann ihre internationale Karriere. Dabei sind
die
einstigen Hits wie "In the Morning of my Life" oder
"Cinderella Rockefella"
schon längst nicht mehr im Repertoire der vielseitigen Stimm-Schönheit.
Heute singt die seit nunmehr 16 Jahren in Hamburg lebende Ofarim
Chansons,
Balladen und Folkloristisches aus allen Teilen der Welt. Ihr
traditionelles
Weihnachtskonzert gab sie viele Jahre in den Kammerspielen - nun singt
sie
das erste Mal auf dem Kiez - im St.Pauli Theater.
MOPO: Sie haben so viele Jahre ihre Konzerte in der Hartungstraße
gegeben -
warum jetzt der Wechsel zum Spielbudenplatz?
Ofarim: Ich habe zu Ulrich Waller und seinem Team Vertrauen - das ist
für
mich das Wichtigste. Ich brauche das Gefühl, verstanden zu werden.
Natürlich
ist mir auch der Raum wichtig: Große Säle oder Arenen - das wäre nicht
ich.
Und ich will mich und den Charakter meiner Konzerte nicht verändern.
MOPO: Ihre Konzerte sind ausverkauft, dennoch machen Sie sich rar...
Ofarim: Das Leben ist schwer genug. Es reicht, dass ich aufstehen und
baden
muss. Ich nehme mir sehr gerne viel Zeit zum Lesen, neulich zum Beispiel
"Joseph und seine Brüder" von Thomas Mann. Das Buch hat mich
umgehauen, das
ist wie eine Reise - und die Zeit dafür nehme ich mir. Ich bin mit
meinem
Leben zufrieden und nicht auf der Suche nach Erfolg. Wenn man jung ist,
will
man einen "Oscar" bekommen oder Schönheitskönigin werden - das
habe ich
aufgeben. Fragen Sie mich nicht, ob ich Angst vor dem Sterben habe - ich
werde nicht lügen und Ja sagen.
MOPO: Ihre Stimme hat in 40 Bühnenjahren keine Kratzer abbekommen -
immer
noch singen Sie diese wunderschönen Bögen auf einem scheinbar endlosem
Atem
...
Ofarim: Wer vor einer großen Treppe steht, darf nicht überlegen, wie
viele
Stufen er vor sich hat - so ist das auch mit dem Singen: Einfach machen!
Das
Atmen ist zwar das Geheimnis des Singens, aber eigentlich gibts da kein
Geheimnis - atmen ist so normal wie laufen.
MOPO: Ihr Repertoire reicht von Leonard Cohen über Brecht-Weill-Songs
bis zu
kubanischen und hebräischen Liedern - sehen Sie sich als eine
Botschafterin
der Völkerverständigung?
Ofarim: Ich singe diese Lieder nur, weil sie schön sind. Wer bin ich,
dass
ich mich für so eine Botschafterin halten könnte? Das ist nicht meine
Rolle.
Auch wenn etwa dieses kubanische Lied, das Sie ansprechen, politisch ist
-
das ist kein Salsa, das stimmt. Ich nutze die Bühne aber nicht, um eine
bestimmte Fahne hochzuhalten.
MOPO: Der Bundestag debattierte kürzlich über Antisemitismus in
Deutschland.
Fühlen Sie sich bedroht?
Ofarim: Gar nicht. Vielleicht weil ich sehr zurückgezogen lebe. Aber
selbst
wenn ich mehr Kontakt hätte, glaube ich nicht, dass ich mich bedroht
fühlen
würde. Dennoch: das Phänomen ist da - und nicht erst seit Hohmann.
Antisemitismus gibt es wieder seit den Sechzigern. Allerdings jetzt mit
einer neuen Facette: Früher kam das nur von Rechts - jetzt von beiden
Seiten.
MOPO: Wie meinen Sie das?
Ofarim: Das hat leider viel mit Israel und Palästina zu tun - weil die
Leute
nichts wissen darüber. Selbst Freunde von mir sagen, der Staat Israel
war
ein Fehler - von der UN oder von wem auch immer. Aber das ist so
passiert,
das ist Geschichte - das ist nicht eine Frage von Fehlern. Ich bin schon
vor
der Staats-Gründung dort geboren - auch meine Eltern und Großeltern. Wir
sind keine Fremden, die das Land geraubt haben - keiner dort hat dieses
Land
geraubt.
MOPO: Sind Sie politisch engagiert?
Ofarim: Nein! Ich beobachte, versuche, die Wahrheit zu entdecken - aber
das
ist sehr, sehr schwer.
DAS INTERVIEW FÜHRTE
RALF DORSCHEL
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