Vom ziellosen
Wandern
Es gibt sie noch – und ihre Stimme besitzt immer noch genügend
Ausdruck und Seele: Esther Ofarim im Berliner Ensemble. Die in Hamburg lebende
israelische Künstlerin wurde überschwänglich gefeiert, was ihr Konzert in-des
nicht immer einzuhalten vermochte.
Die vielen Besucher des fast vollen Berliner
Ensembles mussten sich nach einer kurzen Eröffnungsrede noch ein paar
Augenblicke gedulden, ehe die beinahe leere Bühne – nur der Pianist hatte
sich schon im Dunkeln platziert – von ihrer stillen Präsenz erfüllt wurde.
Doch da kam sie schließlich, von rechts, entschiedenen Schrittes, ein bisschen
nervös sicher, unsicher, sympathisch zurückhaltend, sie, die wir seit über 40
Jahren kennen- und liebengelernt haben als wunderbare Interpretin der schönsten
Lieder dieser unserer Welt, zehn Jahre davon mit ihrem symbiotischen Lebens- und
Gesangspartner Abi: Esther Ofarim, die Esther Ofarim, oder einfach die Ofarim.
Mittlerweile 63 Jahre alt, hat sie noch immer diese magische Aura von
jugendlicher Frische und Unschuld, von kecker Anmut und schöner Seele. In ihr
Gesicht möchte man eintauchen und alle Ekel dieser Welt vergessen, und ihre
Stimme bringt alle verborgenen musikalischen Wunder dieser Erde zum Erleuchten.
Das war immer so und das ist, mit Abstrichen, auch heute noch so. In der Höhe
kann sie nicht mehr ganz so leicht und souverän auf die Noten fliegen, wie ein
Vogel Nahrung in sein Nest apportiert, aber es gibt sie noch, die leichten
Schauer und Gänsehäute bei manchen Tönen und Phrasierungen der Ofarim.
Ihr Konzert, eine Hommage an die beiden in den 30er Jahren emigrierten
Bankierskinder und Künstler Eleonora und Francesco von Mendelssohn im Rahmen
der 18. Jüdischen Kulturtage, bestand aus einem gewohnten Mix aus israelischen
Weisen und französischen Chansons sowie amerikanischen Musicalsongs, darunter
einige von Kurt Weill. Begleitet wurde sie von drei im Programmzettel namentlich
nicht erwähnten Instrumentalisten (Piano, Geige, Saxophon). Wider die
Chronistenpflicht wurden die Namen auch nachträglich nicht recherchiert, da es
sich bei den drei Musikern nicht unbedingt um begnadete Meister ihrer
Instrumente handelte. Die Geige klang fad und leblos, und wann wird endlich
einmal der Habitus super-cooler Musiker durchbrochen, sich autistisch und
weltvergessen an das Instrument und die ihm entlockten Töne zu klammern und den
Eindruck von gewünschter Absenz zu fördern? Man kann voll konzentriert sein
und dennoch seine Umwelt wahrnehmen.
Zurück zu Esther Ofarim: Sie brauchte auch ihre Aufwärmphase, um sich mit
allen Parametern eines solchen Konzerts vertraut zu machen - das äußerst
wohlwollende und enthusiasmierte Publikum, die mediokren Mitmusiker, ihr nicht
eben vorteilhafter, langer und schwer wirkender Rock, den sie immer wieder, wohl
in Ermangelung expressiverer gestischer Mittel, hochzuziehen pflegte. Es gibt
eine durch zu viele Konzerte kontaminierte Bühnensouveränität und routinierte
Abgeklärtheit. Bei Ofarim war eher das Gegenteil zu verspüren. Sie ist nicht
mehr gewohnt, so vermute ich, Konzert auf Konzert zu geben, lebt zurückgezogen
in Hamburg, und das war im Berliner Ensemble zu sehen. Bei manchen Liedern
entstand der Eindruck, sie sei froh und erleichtert, es hinter sich gebracht zu
haben. Bei anderen Songs wiederum war sie in ihrem Element, zur geradezu
nostalgischen Freude des Publikums.
Das Lied der Wanderer lautete das Motto des Abends, anspielend auf die
paradigmatische Exil-„Identität“ der beiden Mendelssohns, und so wurde auch
Esthers hebräisches Wanderlied Ziunionei Haderech eines der wenigen Höhepunkte
ihres Konzerts. In dem ergreifend schönen Lied heißt es unter anderem: „He,
Steine am Wegrand/Weiße Meilensteine/Wie gut es doch tut/Ohne Ziel zu
wandern./Den Rucksack geschultert, wandere ich ziellos dahin. (...)/ Und als ich
eine Blume pflücken wollte/Stach sie mich mit ihrem Dorn...mitten ins Herz.“
Die sensiblen, weichen, leisen Balladen voll Wehmut und verinnerlichter Seele
sind Ofarims Stärke, sind das Äquivalent ihrer fragil wirkenden Persönlichkeit
und Erscheinung. Doch dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Sie hat auch große
Kraft und Stärke mit einem Hauch trotziger Ironie, verdeutlicht in Noel Cowards
Song Mad About The Boy, oder in Kurt Weills Moon Of Alabama, wo Ofarims
beschriebener Rock plötzlich passend schien und eine verruchte Westernlady
suggerierte. Des Komponisten Septembersong und Speak Low enttäuschten dagegen.
Das kennen wir denn doch ausdrucksstärker von anderen Interpretinnen.
Das Publikum wollte Esther Ofarim gar nicht mehr entlassen nach ihrem letzten
Lied. Es wurde belohnt mit drei Zugaben, der berühmten und in ihrer zierlichen
Schönheit bewegenden Mendelssohn-Bartholdy-Weise Leise zieht durch mein Gemüt,
dem Brahms-Evergreen-Schlaflied (hiermit zollte die Künstlerin endlich den
Tribut für die Klassizität des Mendelssohn-Themas der Jüdischen Kulturtage
2004), und schließlich, zur tränendurchtränkten, sentimentalen Freude des
hier Schreibenden, Morning Of My Life, eines der Schlüssellieder der
weltumspannenden Karriere der beiden Ofarims, ein Signaturlied, extra für sie
von den Bee Gees geschrieben, in ihrer Folkfrische und Aufbruchsunschuld der
mittleren 60er Jahre immer noch ergreifend und bewegend, vor allem, wenn diese
schöne Melodie die Ehre hat, von Esther Ofarim gesungen zu werden. Schmerzlich
vermisst wurde indes Abis Zweitstimme. Aber die Geschichte, wie wir wissen,
wollte es anders. Esther und Abi Ofarim – das war einmal.
„He, Steine am Wegrand/Weiße Meilensteine/Von nun an werde ich nicht mehr
wandern/Ohne zu wissen wohin.“
Matthias Büdinger
(© Kulturküche/Redaktionsbüro nikorepress 28.11.2004 - taken from kulturkueche.de
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