Mach's nochmal, Robinson: Rudi Carrells Abschied vom Bildschirm

 

Er kam als Robinson zu uns. Das war 1964, in der Übernahme einer wunderbar intimen Show, mit der Rudi Carrell den Niederlanden die Silberne Rose von Montreux geholt hatte. Sehr jung, sehr dünn, sehr schlaksig hockte er auf einer kleinen künstlichen Insel inmitten eines kleinen künstlichen Sees, alberte mit einem Schimpansen, bis Esther Ofarim als Seenixe kam. Beide sangen, plauderten, eine Wonne in Moll. So nett war er nie wieder. Der "deutsche" Carrell, der sich heute mit dem letzten Auftritt in einer Sonderausgabe von "Sieben Tage, sieben Köpfe" vom Bildschirm verabschiedet, stieg auf als Dompteur, der die Kandidaten seiner diversen Show- und Spielserien so fest im Griff hatte wie das Publikum im Saal. Jede Pointe beinhart, jeder Lacher perfekt kalkuliert, kaum eine vorbereitete Zote zu zotig, wenn es um Zwischenapplaus ging. "Ich bin nicht aus dem Stegreif lustig", erklärte er kürzlich in einem Abschiedsinterview.

Wie auch anders, wenn man, am 19. Dezember 1934 unter dem Namen Rudolf Kesselaar als Sohn und Enkel tingelnder Unterhalter geboren, schon als Kind in Bierzelten Lacher erzielen mußte und sich dann als Zauberkünstler, Bauchredner, Kaspertheaterspieler und Moderator von Modeschauen in der Provinz durchzuschlagen hatte. "Wer das tut, was ich tue, der muß ein sehr großes Ego haben." Aber es gab auch andere, freundliche Züge: Mit Rudi Carrell zog in die deutsche Unterhaltung ein, was heute "gleiche Augenhöhe" heißt: kein Showbombast, keine Glitzertreppe, kein - oder selten - Smoking, statt dessen Gespräche, Flachserei und Direktheit. Wer aber zu sehr diesem legeren Ton vertraute, dem konnte - Motto: "Schadenfreude funktioniert immer" - der Pointenjäger Carrell den Boden unter den Füßen wegreißen, im buchstäblichen wie übertragenen Sinn.

Entertainer seines verschwindenden Schlags sind Chamäleons. Zu selten hat er diese Fähigkeit bei uns verwandt. Aber wenn, dann mit hinreißenden Ergebnissen: Herrlich beiläufig, ein Lied zum Mitsummen, fast so stillvergnügt wie "Singin' In The Rain", sang er 1975 sein "Wann wird's mal wieder richtig Sommer?" Doch er wurde so wenig ein hiesiger Gene Kelly, wie er, trotz so mancher schneidenden Sequenz in "Rudis Tagesshow", ein Kabarettist oder gar Satiriker wurde.

Seine Domäne blieb handfeste Respektlosigkeit wie jene Filmmontage der "Tagesshow", in der er, einen außenpolitischen Eklat riskierend, Ajatollah Chomeini mit Damenunterwäsche bewerfen ließ. Daß er mit derlei Derbhumor, wie vor einigen Monaten mit einem angeranzten dämlichen Schwulenwitz über Klaus Wowereit, allmählich am Zeitgeist vorbeischoß, sagen seine Feinde. Daß er sich treu blieb, beteuern seine Fans. Sicher ist, daß Rudi Carrell dank seiner harten Ausbildung und seiner einundfünfzig Berufsjahre nicht anders kann. Trotzdem ist er sensibler als viele in diesem Genre: Seinen Abschied begründet er auch mit der Gefahr, daß die "Opawitze" seiner Kollegen bei "Sieben Tage" bald nicht mehr zünden könnten, weil er sich allmählich dem Großvaterstatus nähere. Das sei dahingestellt. Sicher ist, daß auch ein weißhaariger Carrell mit Chansons bei uns soviel Sympathie ernten würde wie einst jener junge Robinson, der aus den Niederlanden hierherkam.

DIETER BARTETZKO

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.12.2002, Nr. 303 / Seite 40

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