Wenn du eine Rose schaust
Ein Konzert mit Esther Ofarim eröffnete die Ruhrfestspiele

Erinnerung, sing! Das erste Lied, „Ve’ulai“, in dem Pioniere die Wüste in Erez Israel zum Blühen bringen, erzählt von dem, was angesichts des Gelobtes Landes Vision und was wirklich ist. „Ist sie da oder nur Traum?“, fragten sich auch die Gäste des Konzerts mit Esther Ofarim im Ruhrfestspielhaus, zumindest jene, die in den sechziger Jahren ihre Weltkarriere und in den Achtzigern ihre Wiederkehr auf die Bühne erlebt hatten. Eine Frage der Zeit. Keine Zeitfragen, denn das für die Hamburger Kammerspiele konzipierte, von Hans P. Ströer und Horst Königstein eingerichtete Programm mit vor allem hebräischen Traditionals, neuen sanften Popsongs auf Iwrit sowie englischen Liedern und Balladen vermeidet jeder Referenz auf Gegenwärtiges.

Esther Ofarim tritt vors Mikrofon in einer weißen Seidentunika, die raffiniert stilisierend mit drei Assoziationen spielt: Brautgewand, strenger Nonnentracht und orientalischer Folklore. Das Vestalische ihrer Erscheinung blieb nahezu unverändert, wie auch alles andere: die Stimmfärbung, die berühmten gedehnten, litaneihaften Schleifungen, die Synthesizer-ähnlichen Tremolos, in denen einzelne Worte silbern gespitzt aufblitzen, der anhaltend hallende Nachklang, der sich metallisch härten kann und den sie mit einem cut krass beendet. Technisch beherrscht sie ihr Vokal-Instrument vollkommen; emotional ohnehin. Die Geige (Michail Paweletz) korrespondiert ideal dazu. Sie und Yoni Rechter am Flügel und an den Keyboards sind ihre einzigen Partner. Esther Ofarims Hände teilen sparsam die gesungenen Geschichten aus; es sieht aus, als hinge die gesamte Person an unsichtbaren Fäden und sei eine kluge Marionette, konstruiert für eine chassidische Legende oder eine Erzählung Singers. Da weiß man, warum sie Peter Zadek 1984 für seine Inszenierung von Sobols „Ghetto“ engagiert hat.

Das hebräische Repertoire behält volksliedhafte Einfachheit, in dem die zärtlich-melodiöse Poesie des salomonischen Hoheliedes mitschwingt, sich reine Klangflächen bilden und der Resonanzraum des lyrischen Einst sich bis zum jazzigen Jetzt öffnet. Die englischen Songs hingegen forciert sie von jeher und gibt ihnen eine artifiziellere Form: schneidend, abstrahiert, mondän, kostbar und kapriziös. Das Material der drei Lieder von Kurt Weill moduliert sie skulptural, vergleichbar Teresa Stratas’ Aufnahmen des „Unknown Weill“, und überzieht dabei den „Moon of Alabama“ mit Lack.

Der reine Kunstraum

Die Beatles-Nummer „She’s leaving home“ protokolliert sie in kesser Kobald-Allüre als romantische BefreiungsStory en miniature. Den Tango-Takt von Noel Cowards „Mad about the boy“ ironisiert sie dezent sinnlich. Leonard Cohens „Bird on a wire“ aber führt sie dramatisch-heroisch zur innigsten Konfession. Da saß man dann wie Tonio Kröger und fühlte „eine ganze keusche Seligkeit“ – bis zur (einzig auf Deutsch ge-sungenen) zweiten und letzten Zugabe: Mendelssohn-Bartholdys Gruß „Leise zieht durch meine Gemüt liebliches Geläute“, darin es heißt: „Wenn du eine Rose schaust,/sag ich lass sie grüßen“.

Nachher beim Empfang der Ruhrfestspiele, auf dem der Künstlerin bestätigt wird, „großartig“ (Recklinghausens Bürgermeister) und „zerbrechlich“ (der Ministerpräsident des Landes) zu sein, befand ein prominenter Landespolitiker am Büfett unwillig, der Abend sei rückwärts gewandt, Heyme ausgelaugt, demnächst könne man ja wohl Vicky Leandros oder Udo Jürgens einladen. Ein Missverständnis.

Das Konzert war weder retrospektiv noch zukunftsorientiert oder sonst wie strategisch geplant. Kunst ist kein Konzeptpapier und kein Standortfaktor. Das kommt davon, wenn Image-Denken unmittelbare Wahrnehmung blendet, wenn die Slogans Innovation und Progression um ihrer selbst und eines Profils willen bestimmend sind. Der Abend wollte nichts beweisen, er war zeitverloren; so, als sei Esther Ofarim „schon Wurzel“, wie es Rilke in seinem Gedicht über Eurydike sagt, an die sie noch immer ein wenig erinnert, weil auch sie Berührung kränken könnte „wie zu sehr Vertraulichkeit“. An so jemand gärtnert Politik nicht herum. Zeitlichkeit hat sich hier in Dauer verwandelt. ANDREAS WILINK

Complicated Lady: So hieß Esther Ofarims in den 80-ern mit Eberhard Schoener produziertes Album.
Süddeutsche Zeitung 06.05.02

 

www.esther-ofarim.de